Landshuter Zeitung / Dienstag, 26. März 2013 / von Anke Humpeneder
Ich, der Superheld
Kunstverein Landshut: Rayk Amelang mag klare Linien und unklare Identitäten
Je komplexer und komplizierter die Welt und das Leben in ihr wird, desto
größer ist die Konjunktur der Superhelden: jenen Identifikationsfiguren,
mit denen Max Mustermann, Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller ihre
Probleme flugs lösen könnten – und mithin gar die der ganzen Welt. Streng
genommen gilt der in den späten 30er Jahren erschaffene Superman als erster
echter Superheld, ehe in den Vierzigern Batman, Green Lantern und Wonder
Woman das Genre erweiterten. Doch geht der Bedarf an Superhelden schon
etwas tiefer in unsere Kulturgeschichte zurück, sodass bereits Achill
und Herakles übermenschliche Kräfte aufwiesen. Im vorigen Jahrhundert
lassen sie sich dann als Tarzan, Buffalo Bill und Zorro in der Literatur
finden.
Mit Spiderman, Hulk und den X-Men entwickelten sich die Superhelden nach
dem Zweiten Weltkrieg im Sinne einer eigenen Charakterentwicklung weiter,
zu der auch persönliche Probleme gehörten. Wer ein richtiger Superheld
im heutigen Sinne ist, der verfügt über eine geheime Identität, übermenschliche
Kräfte und ein Kostüm. Verbreitet wurden diese Identifikationsfiguren
jahrzehntelang in Comics. Heute, in der nächsten Generation, tun sich
in Kinofilmen wie den „Avengers“ verschiedene, zunächst als eigenständige
Superhelden bekannt gewordene Figuren wie „Captain America“, „Hulk“ und
„Iron Man“ zusammen, um die Welt vor den immer komplexeren Gefahren zu
retten.
Die Welt der Superhelden ist im Grunde einfach gestrickt und bedient den
urmenschlichen Traum,
über sich selbst hinauszuwachsen. Der Künstler Rayk Amelang greift dieses
Thema auf und setzt sich in seinen Bildern nicht mit dem Superhelden an
sich, sondern mit seinem Auftreffen auf unsere Psychologie auseinander.
Auch Superman, Batman und Spiderman sind ja im Alltag ganz normale Menschen.
Was wäre, fragt sich Amelang, wenn auch wir uns verwandeln könnten? Tatsächlich
ist der „Real Life Superhero“ ein stehender Begriff, als Helden des Alltags
gelten heute nicht nur die Feuerwehrmänner von 9/11, sondern ebenso freiwillig
sozial engagierte Personen oder Pfadfinder, die sich durch ihre guten
Taten definieren.
In diesem Feld malt und zeichnet Amelang, dessen Ausstellung „we need
superheroes“ derzeit in der Galerie des Landshuter Kunstvereins zu sehen
ist. Er verkleidet in seinen Darstellungen Menschen in Superheldenkostüme,
die zunächst nicht zum Bild des strahlenden, weißen, jungen Helden aus
unserem eigenen Kulturkreis passen wollen: Da biegt eine dicke Oma mit
Sturmhaube um die Straßenecke, und die Kopftücher und Umhänge mancher
Protagonisten verweisen auf andere Zivilisationen als die westlich-amerikanische.
Nicht nur eine gehörige Portion Witz und ein gerüttelt Maß an Tiefsinn
darf dem jungen Künstler bei der Konstruktion seiner individuellen Superhelden
attestiert werden, sondern auch ein gutes zeichnerisches Händchen, besonders
für seine Leinwand-Bilder. Auf der ungrundierten, braunen Leinwandrückseite,
errichtet er seine Motive mit dem spärlichen, dafür umso präziseren Einsatz
von Farbe: deutet Formen nur an, lässt Linien plötzlich enden, verzichtet
auf Binnenstrukturen und lässt die Farbe oft gleich ganz weg.
Der 1977 in Dessau geborene Rayk Amelang, der über eine Schreinerlehre,
Mediengestaltung und Street Art zur Malerei gekommen ist, lebt in Regensburg.
In seinem Repertoire, das noch bis zum 7. April im Kunstverein zu sehen
ist, befinden sich auch Superheldensturmhauben für jeden, der im Alltag
einmal seine Identität wechseln möchte.
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